Die echt schräge Beziehungs-Kiste.
Lars ist verliebt in Bianca. Sie ist wie für ihn gemacht. Das Problem, das sein Umfeld damit hat: Sie wurde für ihn gemacht! In einer verschneiten Kleinstadt in Ontario spielt der zweite Spielfilm von Regisseur Craig Gillespie (*1967). Die kanadische Winterlandschaft strahlt eine kühle Klarheit und Offenheit aus, die ein ideales Setting für ihre zentrale Person ist: Lars (Ryan Gosling) ist ein zurückgezogener Büroangestellter, der in der ausgebauten Garage des ehemaligen elterlichen Anwesens untergebracht ist. Im Haupthaus wohnen sein Bruder Gus (Paul Schneider) und dessen schwangere Frau Karin (Emily Mortimer). Die Freude des Ehepaares bei der Ankündigung von Lars' neuer Freundin fällt ebenso deutlich aus, wie die anschließende Verblüffung beim ersten Kennenlernen.
Es soll nichts vorweggenommen werden, was nicht schon durch Plakate und Trailer angedeutet wird, nur soviel, dass Bianca in dem großen Holzpaket eines UPS-Fahrers in Lars' Leben gekommen ist. Dem Zuschauer geht es wie dem Bruder Gus: Man muss aufgeschlossen herangehen im Umgang mit der Puppe Bianca. Und man wird die Probleme, die Lars im Alltag beschäftigen, vermutlich (d.h. hoffentlich) nicht eins zu eins aus dem eigenen Leben wiedererkennen, jedoch lernt man sie zu respektieren. Zwar ist Bianca nicht real - die Schwierigkeiten im menschlichen Miteinander sind es umso mehr. Immer wieder tauchen im Filmverlauf Streitpunkte "echter" Paare auf. Es werden Reaktionen von jungen wie alten Mitbewohnern des Dorfes gezeigt, Toleranz wie Ignoranz. Alles geschieht dabei mit einer Gratwanderung im positivsten Sinne, denn LARS UND DIE FRAUEN findet in jedem Moment die richtige Balance und ist durchweg liebenswürdig. Die Geschichte und auch das hier Geschriebene lässt Melodramatisches befürchten, doch das Drehbuch und die Schauspielerleistungen liefern eine eindringliche Aufrichtigkeit, die filmisch ihresgleichen sucht. Irgendwo zwischen der Herzlichkeit eines LANG LEBE NED DEVINE (GB 1998) und einer bodenständigeren Verstiegenheit einer FABELHAFTEN WELT DER AMELIE (Frankreich 2001).
Viel (Zwischen-)Menschliches wird angesprochen und dennoch wirkt LARS UND DIE FRAUEN nie überfrachtet. Lars und der ganze Film sind wirklich liebenswert. Der Verfasser dieser Filmbesprechung war zugegebenermaßen "vorbelastet", denn er war bereits im Vorfeld von der Wahl der Darsteller überzeugt. Die zwei bekanntesten Darsteller spielten zuvor in den (subjektiv) romantischsten Filmen der zurückliegenden Jahre: Der jederzeit überzeugende Ryan Gosling aus WIE EIN EINZIGER TAG (THE NOTEBOOK, USA 2004, mit Rachel McAdams) und Emily Mortimer aus LIEBER FRANKIE (DEAR FRANKIE, GB 2004, mit Gerard Butler). Dazu gesellen sich die Talente Kelli Garner (will Lars mit ihrer Liebe heraushelfen) sowie Patricia Clarkson (will Lars mit ihrer Therapie heraushelfen).
Ein "Glückwunsch" an die deutsche Übersetzung, die einmal wieder den Originaltitel verdorben hat, der da lautet: LARS AND THE REAL GIRL. Das deutsche Pendant LARS UND DIE FRAUEN suggeriert, dass das Dilemma des Protagonisten nur gegenüber dem anderen Geschlecht auftritt. Es ist jedoch die generelle Scheu vor Menschen, vor Berührung und Nähe im Allgemeinen. Somit thematisiert der Film ein gesellschaftliches Problem und wird im Film mit Bianca lediglich überzeichnet dargestellt, um es herunter zu brechen. Das ist das Erfrischende gegenüber den ewig dargestellten filmischen Beziehungsproblemen, dem immer wieder durchexerzierten Verhalten von Paaren in den unmöglichsten Hollywood-Konstellationen, während des Anbandelns, beim Heiraten, im Eheleben. Nur noch schwer zu ertragen und so ist Lars ein Ausweg: Nochmal auf Null zeigt er die Geschichte eines jungen Mannes, der in einer überschaubaren Gemeinde aufwächst, beliebt ist, einen geregelten Job ausfüllt und trotzdem der einsamste Mensch ist.
In anderen Filmkritiken wurde teils bemängelt, dass er nicht witzig genug wäre, doch das wäre die drohende Gefahr: LARS UND DIE FRAUEN muss mit der Grundidee der Gummipuppe im Slalom um Anstößiges, um Zotiges und pubertäre Pointen navigieren. Ausnahmen leistet er sich nur mit vergnüglich-chauvinistischen Seitenhieben unsensibler Kleinstadtbewohner, die fragen, ob Bianca auch eine Schwester hat, oder kommentieren, dass sie auch gerne eine Partnerin hätten, die nicht sprechen kann. Die Gummipuppe wirkt für den Zuschauer zum Glück nie beschämend oder peinlich, da die ursprüngliche Funktion als Sexspielzeug völlig im Hintergrund verschwindet. Nicht umsonst wurde der Film um eine Gummipuppe hierzulande "freigegeben ohne Altersbeschränkung". Drehbuchautorin Nancy Oliver kam auf die Idee, als sie über eine amerikanische Internetseite stolperte, die genau solche Puppen anbietet. Bei "Real Doll" könnte man eine Bianca tatsächlich bestellen, die Standardausgabe gibt es ab 6500 Dollar. Die Startseite ist sogar im Film auf einem der Büromonitore zu sehen. Im privaten Umfeld von Lars hingegen findet sich keinerlei Technik. Er hat nichts mit immer häufiger auftretenden Computernutzern gemein, die unter dem modernen Symptom der totalen Kommunikation durch den PC und der gleichzeitigen totalen Vereinsamung leiden. Der Filmcharakter führt mit einer Gummipuppe als Gegenüber vor, wie man seinen Partner mit Respekt behandelt, wie man ihm Zeit widmet, gemeinsam Dinge unternimmt, und er entdeckt seine alten biographischen Orte neu. Lars und Bianca leben für eine gewisse Zeit vor, dass man sich mit einem idealen Partner nicht verändern muss, aber beide dank ihres Miteinanders über sich hinauswachsen. LARS UND DIE FRAUEN jedenfalls dient als idealer Partner für gute Filmunterhaltung.
Das DVD-Bonusmaterial ist bescheiden, aber recht skurril: Selten gab es wohl einen Bereich "deleted scenes" (nicht verwendete Szenen), der aus einer einzigen Szene besteht, von der sich Regisseur Gillespie den eingeblendeten Angaben nach auch noch schweren Herzens trennen musste. Die kurzen Set-Berichte lassen die Autorin, den Regisseur und die Darsteller gleichermaßen zu Wort kommen und zeigen eine weitere Hauptperson: Die Puppe - Verzeihung - Bianca wurde während des 31-tägigen Drehs wie ein vollwertiges Crewmitglied behandelt, wurde täglich zwei Stunden in der Maske geschminkt und im Rollstuhl zum Buffet geschoben. Wie sich Ryan Gosling zur Vorbereitung mit ihr angefreundet hat, erfährt man ebenfalls in den mitgelieferten Interviewausschnitten.
ungeprüfte Kritik