Übermut. Chaos. Seife.
In jedem steckt ein Tyler Durden
Manchmal können Filme weitreichende Auswirkungen haben. So mancher Teenager hatte sein erstes Date in einem Kino, viele Filme prägen die Lebensweisen ganzer Generationen, vereinen Liebenden oder spalten Gruppen. Bei allen diesen Filmen gibt es eine Gemeinsamkeit, die Menschen werden sich an sie erinnern. Mal mehr, mal weniger. Solche an die sich sehr viele Menschen erinnern nennt man Jahrzehnte nach ihrer Entstehung Klassiker. Moderne Filme, denen man es zutraut, das sie zu Klassikern werden, nennt man Kultfilme.
Lässt man die Erinnerung schweifen über die letzten zehn Jahr Kinogeschichte, so sind es wohl optische Leckerbissen wie Matrix und Herr der Ringe, die zu potentiellen Klassikern taugen. Abseits von deren Besucherzahlen und Kultpotential wird bei manchen Cineasten wohl ein Film sich im Gedächtnis über Jahrzehnte festsetzen der im Kino kaum seine Produktionskosten eingespielt hat! Dennoch passt auf kaum einen Film der letzten zehn Jahre der Begriff Kultfilm besser als auf Fight Club!
Bei Fight Club schaut man eigentlich auf keine Leinwand, man schaut in einen Spiegel. Man entdeckt sich, entweder im Erzähler(Edward Norton), im hodenlosen Bob (Meat Lof), in einem der namenlosen Kämpfer im Hintergrund, oder in Tyler Durden (Brad Pitt). Über Brad Pitt habe ich einmal gesagt: Er ist am besten wenn er einen Verrückten spielt! Neben seiner persönlich besten Leistung in 12 Monkeys liefert er hier den zweiten Beweis, in seinem zweifelsohne besten Film!
Seit ich Sweeney Todd gesehen habe, weiß ich dass diese Aussage auch auf die britische Schauspielerin Helena Bonham Carter zutrifft. Mimt sie dort die Komplizin eines mordlüsternen Friseurs, begeisterte sie als vom Bösen besessene Hexe im aktuellen Harry Potter-Streifen. In Fight Club ist sie als Marla Singer der Pol zwischen Norton und Pitt, die Frau zwischen den Stühlen, diejenige die unser Erzähler als Grundstein für sein Unglück bezeichnet
“Wenn ich einen Tumor hätte, würde ich ihn Marla nennen“
Der Erzähler, häufig auch als Jack bezeichnet, ist ein namenloses Wesen und trotzdem eine Identifikationsfigur. Fincher lässt sich Zeit seinen Hauptcharakter ausreichend vorszustellen, wodurch er dem Zuschauer sympathisch wird, ein Charakter mit dem der Zuschauer mitfühlt. Ein Mensch mit einer Wohnung, einem Beruf, und dem Drang sich vollständig zu fühlen. Er arbeitet auf ein bestimmtes Ziel hin, ohne zu wissen was es genau dieses Ziel ist. Er identifiziert sich durch seinen Besitz und lebt mit diesem von Tag zu Tag vor sich hin.
„Alles was du hast, hat irgendwann dich“
Auf einer Dienstreise trifft der Erzähler, der Rückrufkoordinator bei einem Automobilkonzern ist, auf Tyler Durden, einen Vertreter für Seife. Als seine Wohnung in Flammen steht zieht er bei Tyler ein. Anfangs noch seinen Besitztümern nachtrauernd, fügt er sich immer mehr und mehr der Situation. Seine Identifikationsgüter sind ihm nicht mehr wichtig, er ist frei vom Kommerzdenken und findet seine Erfüllung in Prügeleinen mit Tyler. Als diesen Drang nach Kämpfen auch andere Männer offenbaren, gründen sie den Fight Club.
"Die erste Regel des Fight Club lautet: Ihr verliert kein Wort über den Fight Club!
Die zweite Regel des Fight Club lautet: Ihr verliert KEIN WORT über den Fight Club!
Dritte Regel des Fight Club: Wenn jemand 'Stopp' ruft, schlappmacht, abklopft, ist der Kampf vorbei!
Vierte Regel: Es kämpfen jeweils nur 2!
Fünfte Regel: Nur ein Kampf auf einmal!
Sechste Regel: Keine Hemden, keine Schuhe!
Siebte Regel: Die Kämpfe dauern genau so lange, wie sie dauern müssen!
Und die achte und letzte Regel: Wer neu ist im Fight Club, muss kämpfen!"
Natürlich missfallen diese Aktivitäten seinem Chef, offenbart doch sein Körper mehr und mehr Spuren von Kämpfen. Nach einer der besten Szenen der Filmgeschichte, als der Erzähler sich selbst verprügelt, braucht er nicht mehr zur Arbeit zu erscheinen, bezieht aber weiter Gehalt. Somit bleibt ihm mehr Zeit zu kämpfen. Tyler gründet inzwischen das Projekt Chaos, sein Haus wird zu einem Ausbildungslager für Aushilfsrowdys. Zwischendurch wohnte auch Marla Singer bei Tyler. Der Erzähler kennt sie von diversen Selbsthilfegruppen, mit denen er seine Schlaflosigkeit bekämpfte. Marla Singer, die ebenso wie er eine Heuchlerin ist, bewirkte dass er wiederum nicht schlafen kann. Deswegen teilten sie die Gruppen auf, und sahen sich nicht wieder bis Marla ihn während eines Selbstmordversuches anruft. Daraufhin nimmt Tyler sie bei sich auf, und beginnt eine Beziehung mit ihr.
„Das ist keine Liebe, das ist Sportficken“
Das Projekt Chaos nimmt überhand und es kommt zu einem Todesopfer. In dieser Szene bekommt man die Abgestumpftheit der FightClub-Mitglieder präsentiert. Die Regeln sind ihre Bibel, das Wort Tylers ihre Predigt. Bedingungslos folgen sie ihm überall hin, das Projekt Chaos bedeutet ihnen mehr als ihr eigenes Leben. Wer beim Projekt Chaos stirbt, wird wie ein Held gefeiert. Nun plant Tyler Durden Büros von Kreditkartenfirmen in die Luft zu sprengen damit alle Menschen wieder bei „Null“ anfangen könnten. Als er verschwindet, reist ihm der Erzähler nach und stellt fest das es überall in den USA Ableger des Fight Club gibt. Als er schließlich Tyler aufspürt wird die erschreckende Wahrheit offenbart: Er ist Tyler Durden!
Aber wie kann man sein eigenes Ich aufhalten? Die Polizei ist von Mitgliedern des Projekt Chaos infiltriert, und wenn er die Explosion aktiv aufhalten will, hindert ihn Tyler daran. Nur am Ende schafft er es die Schizophrenie zu seinen Gunsten auszunutzen, und schießt sich Tyler Durden aus dem Kopf!
„Du hast mich in einer seltsamen Phase meines Lebens getroffen“
Wenn ganze Häuserblocks untermalt von marchialistischen Klängen von „Where is my Mind“ in die Luft fliegen und Edward Norton zusammen mit Helena Bonham-Carter am Fenster steht, dann lässt man Revue passieren was hier eigentlich passiert ist. Ein Yuppie, so betitelt unseren Unbekannten das DVD-Cover, wird durch ein anderes Ich, einer Gehirnwäsche unterzogen. Frei nach „Trainspotting“ sagt er Nein zu allem, denn er hat ja, nein, keine Drogen, den Fight Club. Kämpfe sind die Lösung aller Probleme. Allerdings lässt sich Fight Club nicht auf diese platte Aussage reduzieren. Die Kämpfe sind auch nicht die Höhepunkte des Films, nein, sie liefern nur Vorlagen für Charakterentwicklung. Gut in Szene gesetzt sind sie allemal, als übertrieben kann man die Gewaltdarstellung bezeichnen, aber auch nur wenn man auf der Suche nach dem sprichwörtlichen Haar in der Suppe ist. Wobei man auch die Gewaltdarstellung positiv auslegen kann. Denn den teils brutalen Kämpfen verdankt der Film seine fehlende Jugendfreigabe. Und das ist auch gut so, ist das Gedankengut das hier vermittelt wird, in jugendlichen, schwachen Händen eventuell falsch aufgehoben.
Vor kurzem sah ich „die Welle“ und entdecke erschreckende Parallelen. Denn der fatalistische Ansatz spiegelt sich auch im Projekt Chaos wieder. Allerdings auf eine so übertriebene Art, das es beinahe surrealistisch wirkt.
„Auf den Nullpunkt kommen ist kein Wochenendurlaub“
Man fühlt sich wie in einer anderen Welt. Man lebt mit den beiden Protagonisten ihren Weltveränderungstrip durch und denkt nicht daran dass dies die reale Welt ist. Das es unsere Welt ist die sie verändern, die sie prägen, mit ihrer kleinen Gemeinschaft von Raufbolden. Und da entdeckt man, das Fight Club eine Gesellschaft anprangert, die unserer gar nicht so unähnlich ist, die man aber gar nicht als so verkehrt ansieht. Eine bessere Welt schaffen sie freilich nicht, dazu darf Terrorismus auch nicht führen, denn genau das ist es was das Projekt Chaos macht, Vandalismus und Terrorismus. Eine solche Botschaft in seinen Film zu interpretieren möchte wohl kein Regisseur ermöglichen. Deswegen musste auch Robert Paulsen (Meat Loaf) sterben. Dadurch wird nicht nur die Schattenseite des Projekt Chaos thematisiert, nein Fincher nutzt sie auch um den Zuschauer anderweitig zum Nachdenken anzuregen.
Der furiose Auftakt lässt einem dazu zwar kaum Zeit, trotz allem werden viele gesellschaftskritische Problematiken angesprochen, oder zumindest angedeutet. Fincher deckt hier Wunden der Gesellschaft auf, er setzt dem Zuschauer den Spiegel vor, und zeigt ohne plakativ zu wirken die Folgen des konsumorientierten Lebens auf.
„Es muss Dienstag gewesen sein, er hatte die kornblumenblaue Krawatte um“
Am Ende bleibt die Frage: Ist man ein Namenloser mit IKEA-Möbeln, oder ist man ein Tyler, ein Rebell, der im wahrsten Sinne des Wortes den Reichen in die Suppe spuckt? Tyler Durden ist ein Symbol für die unerfüllten Wünsche vieler Menschen die sich ab und zu vorstellen in die Rolle eines anderen zu schlüpfen, ihr Leben umzukrempeln, sich zu einem ganz anderen Menschen zu entwickeln. Unser Held tut das, und lebt das in Fight Club aus.
Der Fight Club nimmt einen auf, und gibt einen nicht wieder her. Von Beginn an merkt man, dass man es hier mit einem ganz besonderen Film zu tun hat. Dies liegt im furiosen Auftakt, in dem Edward Norton und Helena Bonham Carter ihre ganzen Qualitäten ausspielen können. Vor allem Bonham Carter drückt dieser Phase ihren ganz persönlichen Stempel auf. Aber auch die Kommentare aus dem Off von Norton prägen sich ein, schwanken zwischen Ironie und Zynismus, und sorgen somit davor das alles zu einem Guss aus Bild und Ton wird, der eine Faszination erzeugt die erst sehr spät nachlässt, wenn die überraschende Erkenntnis den Part den Zuschauer zu irritieren und mitzureisen übernimmt.
„Erst nachdem wir alles verloren haben, haben wir die Freiheit, alles zu tun“
Das geniale an Fight Club ist der Wiedersehenswert. Sitzt man beim ersten Mal verwirrt vor dem Fernseher als man das große Geheimnis erfährt und versteht vielleicht das skurrile Ende nicht, so entdeckt man beim zweiten und dritten Mal unzählige Hinweise auf die Schizophrenie.
„Wenn man in einer anderen Zeit aufwacht, an einem anderen Ort, könnte man auch als anderer Mensch aufwachen?“
Plötzlich ergeben Szenen einen Sinn, bei denen man bei der ersten Sichtung mit dem Kopf geschüttelt hat. Seltsame Dialoge werden als gezielt gestreute Hinweise enttarnt, die WG schrumpft vor dem Auge des Betrachters, und man sieht „Jack“ und Tyler mit ganz anderen Augen. Natürlich bleibt der Überraschungseffekt aus, aber das tut dem Erlebnis keinen Abbruch.
Finchers Meisterleistung offenbart sich aber nicht nur in diesen Hinweisen. Er zeigt auch immenses Gespür für Kameraführung und Szenengestaltung. Er schwenkt stets einer Person nach die einen Raum verlässt, und lässt den anderen Protagonisten im selben Moment aus dem anderen Ende des Raums auftauchen. Zielsicher setzt er die ihm zur Verfügung stehenden Werkzeuge ein um den Spagat zwischen auflösen und versteckt hinweisen perfekt hinzubekommen. Hinzu kommt ein bombastischer, eindringlicher Soundtrack.
Mittlerweile ist Fight Club kein kommerzieller Flop mehr, kauften doch mehr Menschen die verschiedenen Fassungen der DVD (Tipp: Unbedingt auf die FSK 18 achten, nur die ist ungeschnitten), als den Film seinerseits im Kino sahen. Zu einem Kultfilm ist er mittlerweile auch avanciert, nicht zuletzt wegen der coolsten Rolle aller Zeiten, zu der Tyler Durden in einer Onlineabstimmung vor einiger Zeit gewählt wurde. Das Zeug zu einem Klassiker hat er leider nicht, ist er doch nicht gerade das was als Mainstream-Film bezeichnet wird. Trotzdem steht er heutzutage neben so manchem Klassiker in einigen Listen der besten Filme aller Zeiten sehr weit oben zu finden! Und womit? Mit Recht!!!
ungeprüfte Kritik