Away We Go

Von zweien, die auszogen, das Leben zu lernen

Away We Go: Von zweien, die auszogen, das Leben zu lernen
Away We Go: Von zweien, die auszogen, das Leben zu lernen
   09.04.2010
"Sind wir Loser, sag mal?", fragt die schwangere Verona ihren Lebensgefährten Burt. Der hat mit dem Einschalten eines Heizstrahlers die Elektrik in den eigenen (bescheidenen) vier Wände zum Erliegen gebracht. Beim Besuch der nicht weit entfernt wohnenden Verwandtschaft verkünden die Schwiegereltern dem jungen Paar, dass sie bald sehr wohl weit entfernt wohnen werden und sich mit dem Umzug in die Ferne einen Lebenstraum verwirklichen. Aber welchen Lebenstraum haben Verona und Burt und wie will uns Regisseur Sam Mendes daran teilhaben lassen?

American Beauty & Happiness

Der neue Film des Oscar(c)-Preisträgers Mendes heißt Away We Go (USA/Großbritannien 2010). Wohin? "Auf nach Irgendwo", fügt der deutsche Titel hinzu. Hauptsache weg. Warum wir am gestrigen Filmabend den Weg auf nach Away We Go genommen haben, hängt vor allem mit den bisherigen Werken des Regisseurs zusammen. Noch vor dem Einlegen dieser DVD-Neuerscheinung mussten wir uns innerlich bei Sam Mendes entschuldigen, denn zum Zeitpunkt seines Erstlingswerks American Beauty (1999) und seiner überschwänglichen Oscar(c)-Gewinn-Publicity nach der 72. Verleihung der 'Academy Awards' im März 2000 waren wir enttäuscht. Nicht wegen der unbestritten gelungenen, sarkastischen Filmerzählung oder der Paraderolle von Hauptdarsteller Kevin Spacey, sondern weil ein Independent-Filmemacher, Todd Solondz, kurz zuvor mit 'Happiness' (1998) ein noch viel konsequenteres Bild der amerikanischen Mittelschicht zeigte, das so viel weniger Beachtung erfuhr (und es bis heute nicht von VHS zu DVD geschafft hat).

Going Green

Sam Mendes ist Theaterregisseur. Schuster bleib bei deinen Leisten, dachte wir still, ähnlich wie bei seinem deutschen Pendant Leander Haußmann. Inzwischen hat sich Mendes längst als Mann des (Film-)Fachs bewiesen, keine Frage. Seine Spielfilme sind für uns und womöglich auch für Sie keine Offenbarung, aber immer herausragende Produktionen, die Steven Spielberg zugegebenermaßen Recht geben, denn der holte Mendes einst ins 'Dreamworks' Boot nach Hollywood. Und jetzt? Nun beginnt Away We Go und macht mit seinem alternativ gestalteten DVD-Menü keinen Hehl draus, dass es sich diesmal um eine bescheidenere Produktion handelt, die noch dazu den ersten Film präsentiert, der laut Pressemittelung nachhaltig unter Einhaltung der Richtlinien der Umweltinitiative 'Going Green' hergestellt wurde. Ausgezeichnete Ökobilanz, ausgezeichnete Unterhaltung?

"Film starten"

Angenehme Indie-Musik untermalt die Benutzerführung. Ach ja: "Film starten". Wunderbar ausgeleuchtet beginnt... eine Oralsexszene, die natürlich (FSK ab 12) unter der Bettdecke stattfindet. Ist Oralverkehr nicht immer noch in einigen US-Bundesstaaten verboten? Erinnerungen an einen Basic Instinct (1992) Aufreger werden wach, als Paul Verhoeven vor rund zwanzig Jahren beim Moralwächtern für Entrüstung sorgte (ist das wirklich schon so lange her?). Die aktuelle Liebesszene von 2009 nimmt ohnehin sofort eine skurrile Wendung und verwandelt Erotik in Alltag. Eingefangen wurden diese Filmbilder von einer erfahrenen Kamerafrau, Ellen Kuras. Das Schauspielerpaar Maya Rudolph (als Verona) und John Krasinski (als Burt) wurde von Frauen, Debra Zane und Ellen Lewis, ausgewählt und den Schnitt übernahm Sarah Flack. Weibliche Intuition und Profession im Hintergrund, während Mendes seine Geschichte in Gang bringt.
"Sind wir Loser, sagt mal?", die Frage der Protagonistin im 6. Schwangerschaftsmonat ist mit dem englischen "Are we fuck-ups?" nicht nur in der Bedeutung, auch sprachlich drastischer. Es wird im Verlauf - so viel darf verraten werden - kein Blatt vor den Mund genommen, nachdem sich unser Filmpaar entscheidet, auf den Entschluss der Schwiegereltern hin ebenfalls buchstäblich das Weite zu suchen (als Schwiegereltern ein prominenter Kurzauftritt der Schauspieler Catherine O'Hara und Jeff Daniels). Die werdenden Eltern nehmen kurzerhand ein Flugticket nach Phoenix/Arizona und schon finden sich die Zwei mitten in einem Roadmovie wieder. Immer an der Seite der Protagonistin Verona: der Anfang-Dreißiger Burt mit Bart, der nie die Brille abzusetzen scheint, außer, wenn er die Gläser mit dem Shirt-Zipfel säubert. Bekleidet mit kurzen, karierten Hosen, Romantiker statt Realist. Aber wirklich ein Loser?

Was zum guten Ton gehört: Auch wenn das englische Original durch Burts schlotterige Art manchmal schwer zu verstehen ist - wenn man von dort ins Deutsche schaltet, landet man in einer ganz anderen Atmosphäre, die sich zwar durch eine bedachte Synchronisation hervortut, die dem gesamten Filmeindruck aber nicht gerecht wird. Nach dem Hin- und Herspringen zwischen den Tonspuren musste noch eine Unsitte sein: den Lauf des Films stoppen. Nicht aus Frust, sondern aus Lust. Manche Dialogenden sind so unverhofft, manchmal derb überraschend, dass man sofort nochmal zurückspringen will (einen Vorteil, den man sich jetzt ja im Gegensatz zu den Kinozuschauern im Oktober/November 2009 herausnehmen kann).

Resonanzen aus dem Blätterwald

Away We Go wurde die Ehre zuteil, am 17. Juni 2009 als Eröffnungsfilm das 'International Film Festival' in Edinburgh/Schottland zu eröffnen. Seitdem erhielt der Film gemischte Resonanzen in der Presse. Die 'New York Times' fällte gar ein ziemlich vernichtendes Urteil über die "selbstgerechten" Hauptpersonen, die sich mit ihrer auch so "einmalig feinfühligen, liebevollen, klugen und abgeklärten Art" von den "Schwachköpfen und Versagern auf dieser Welt" absetzen (Zitat: "aware of their special status as uniquely sensitive, caring, smart and cool beings on a planet full of cretins and failures"). Einer der prominentesten US-Filmrezensenten, Roger Ebert, wetterte darauf zurück, dass wenn man die Protagonisten für "selbstgerecht" hält, man vielleicht gerade das selbst ist.
Mit einer so harschen Haltung wie aus der 'Times' könnte man die Geschichte um Verona (Maya Rudolph) und Burk (John Krasinski) in der Tat kleinreden oder -schreiben. Aber wer will das einem doch wahrhaft "feinfühligen, liebevollen, klugen" Film antun? Sie könnten das in einer eigens veröffentlichten Kritik auf der Video Buster Filmseite tun. Doch was kann man diesem Film vorwerfen, der im Mittelteil einen Höhepunkt erlebt, in einer Station bei einer von Maggie Gyllenhaal gespielten Gastgeberin, während im Hintergrund einer unserer persönlichen Lieblingssongs 'Golden Brown' von den 'Stranglers' läuft? Die Aneinanderreihung von zwischenmenschlichen Disastern, spleenigen Charakteren - wenn das schon vorab nicht Ihr Fall sein sollten, dann sollte es auch für Ihre nächste Filmwahl heißen: "Auf nach Irgendwo".

Vergleichsweise optimistisch

Doch entgeht Ihnen dann nicht etwas? Andernorts wurde das vergleichsweise optimistische Resultat durchaus gelobt, zumal es sich doch erfrischend deutlich von Sam Mendes' früheren, düsteren Kinofilmen wie dem erwähnten American Beauty (1999), dem Mafiadrama Road to Perdition (2002) mit Tom Hanks und dem Frontfilm Jarhead (2005) mit Jake GyllenhaalJake Gyllenhall (dem Bruder von Maggie) abhebt und Mendes sogar ausnahmsweise seinen Stammkomponisten Thomas Newman verließ und sich stattdessen auf die Musik von Alexi Murdoch verließ. Am deutlichsten wird der Kontrast im Vergleich zu Mendes' letztem Werk, dem drastischen Ehedrama Zeiten des Aufruhrs (2008) mit Leonardo DiCaprio und Mendes' eigener Ehefrau Kate Winslet (verheiratet seit Mai 2003).

Fiktion & Wirklichkeit

Die Wirklichkeit holte Sam Mendes offensichtlich ein, als er mit Winslet im März 2010, zehn Tage nachdem diese deutsche DVD-Ausgabe von Away We Go erschien, die vorläufige Trennung bekannt gab. In der Fiktion zeigt uns Mendes dagegen, dass es doch Hoffnung auf Romantik gibt, auch oder gerade ohne Ehegelöbnis. Ein kleines Schlussbild: Burt schreit seine schwangere Lebensgefährtin manchmal aus heiterem Himmel an, um ihren Herzschlag (und den des Ungeborenen) zu erhöhen. Wir hätten uns gewünscht, auch ein wenig mehr emotional aufgerüttelt zu werden, statt in 94 Filmminuten eine ruhige Reise mit meist harmlosen Höhen und Tiefen, unterschiedlichen Zwischenstopps à la Bill Murray in Jim JarmuschsBroken Flowers (2005) zu erleben. Am Ende ist unsere durchschnittliche Bewertung des Films aber durchaus positiv gemeint, schließlich zeigt der Film, wie schön es sein kann, wenn man akzeptiert, dass man durchschnittlich ist... und glücklich.

Der chronologische Werdegang des Sam Mendes zum Ausleihen

American Beauty

...sehen Sie genau hin.

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Drama

Lester Burnham (Kevin Spacey), jahrelang unterdrückt von seiner frustrierten Ehefrau Carolyn (Annette Bening) und seiner missmutigen Tochter Jane (Thora Birch), beschließt, sein Leben von Grund auf zu ändern. Ausschlag gebend ist das Kennenlernen von Angela Hayes...  mehr »

Produktion:
1999
Medien:
DVD, Blu-ray
Freigabe:
FSK 16
Bewertung:

Road to Perdition

Er hatte keine Wahl... aber er gab seinem Sohn eine.

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Thriller

Amerika, im Winter 1931. Er hätte nicht dort sein dürfen. Doch in dem Moment, als der Sohn von Michael Sullivan (Oscar-Preisträger Tom Hanks) einen brutalen Mord beobachtet, ist das Leben des 12-jährigen Michael Sullivan Jr. (Tyler Hoechlin) und das seines...  mehr »

Produktion:
2002
Medien:
DVD, Blu-ray
Freigabe:
FSK 16
Bewertung:

Jarhead

Willkommen im Dreck.

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Kriegsfilm

Nach seiner ernüchternden militärischen Grundausbildung dient Sergant Swoff (Jake Gyllenhaal) als Scharfschütze in den Wüsten des Mittleren Ostens - ohne jeden Schutz vor unerträglicher Hitze und irakischen Soldaten. Swoff und die anderen Marines befinden sich...  mehr »

Produktion:
2005
Medien:
DVD, Blu-ray
Freigabe:
FSK 12
Bewertung:

Zeiten des Aufruhrs

Drama

Es ist die Suche nach einem Leben ohne Kompromisse: April (Kate Winslet) und Frank Wheeler (Leonardo DiCaprio) sind ein junges Paar mit großen Plänen. Sie sehen sich als Individualisten, die die prüden Gesellschaftskonventionen der 50er Jahre in Frage stellen. Als...  mehr »

Produktion:
2008
Medien:
DVD, Blu-ray
Freigabe:
FSK 12
Bewertung:

Away We Go

Auf nach Irgendwo.

Away We Go

Auf nach Irgendwo.
Drama

Als Burt (John Krasinski) und Verona (Maya Rudolph), beide um die 30, erfahren, dass sie demnächst Eltern werden, ergreift sie die Panik. Noch dazu, wo gerade jetzt Burts Eltern Jerry (Jeff Daniels) und Gloria (Catherine O'Hara) nach Belgien auswandern wollen. Von...  mehr »

Produktion:
2009
Medien:
DVD
Freigabe:
FSK 12
Bewertung:

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