'0 Amor Natural' ist der Titel einer Anthologie mit erotischen Gedichten aus den letzten Lebensjahren des berühmten brasilianischen Dichters Carlos Drummond de Andrade (1902-1987), die dieser selbst nie veröffentlichen wollte, weil er fürchtete, sie könnten als Pornographie abgetan werden. Regisseurin Heddy Honigmann macht scheinbar nichts anderes, als ein Buch herum zu zeigen, läßt es rezitieren und diskutieren - und gestaltet hieraus ein intimes Porträt Brasiliens, des Dichters, und der Beziehungen zwischen Männern und Frauen. Sie zieht in Rio de Janeiro mit dem Buch unterm Arm durch Bars, über Marktplätze oder auf eine Rennbahn, um Frauen und Männer darum zu bitten, vor der Kamera aus der Gedichtsammlung Drummond de Andrades vorzulegen - über Orgasmus, Möse, Penis und Hintern - in der Hoffnung, deren Erinnerungen an die eigenen sexuellen Erlebnisse, Sehnsüchte und Lüste zu evozieren. Das Experiment gelingt. Das Rezitieren der Verse wirkt solcherart als Katalysator. Weißhaarige Frauen plaudern über Analsex, Greise berichten über ihre Seitensprünge und entwerfen hierbei ein spannungsreiches Bild einer Generation, das mit seiner Offenherzigkeit alle Klischees über das Alter als Lüge entlarvt. So entsteht eine Sammlung von Lebensgeschichten und Rückblicken all dieser Menschen, die zwar an Jahren gealtert sind, sich aber etwas bewahrt haben. Eine ältere Frau, der die Überraschung der Regisseurin angesichts ihrer puren Freude an einem unmißverständlich sexuellen Gedicht nicht entgangen ist, spricht es aus: "Wir sind alt, aber nicht tot."
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