Raoul Peck, Oscar-nominierter Regisseur für 'I Am Not Your Negro' (2016), kehrt mit einem preisgekrönten Dokumentarfilm auf die deutschen Kinoleinwände und Heimkinos zurück: In 'Ernest Cole - Lost and Found' (2024) erzählt er die bewegende Geschichte des südafrikanischen Fotografen Cole, dessen künstlerischer Nachlass, bestehend aus 60.000 Fotonegativen, 2017 in einem schwedischen Banksafe entdeckt wurde. Cole hatte 1967 mit seinem Fotobuch 'House of Bondage' der Weltöffentlichkeit die rassistische Realität in seinem Heimatland vor Augen geführt, geriet in den 80er Jahren allerdings in Vergessenheit und starb 1990 im Alter von nur 49 Jahren in New York. Mit Coles geborgenen Bildern und Texten rekonstruiert Peck in seinem Dokumentarfilm den Lebensweg eines engagierten und bahnbrechenden Künstlers, dessen Werk von der Wut über das Schweigen im Angesicht der Schrecken des Apartheid-Regimes beseelt ist. 'Lost and Found' wurde in Cannes mit dem Preis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet. Ein Meisterwerk des politisch bewussten Kinos...
Raoul Peck über seinen Film: Welche Bedeutung hatte Ernest Coles Werk für Sie, bevor Sie den Film gemacht haben? "Als Erstes sollte ich sagen, dass ich zwar etwas jünger bin als Ernest Cole, aber immer noch zur gleichen Generation gehöre. Ich erinnere mich also an viele seiner Bilder. Zum Beispiel an das Bild der älteren Frau, die auf der Bank sitzt, auf der 'Europeans Only' steht. Ich wusste aber nicht, dass es von Ernest Cole war. In den 70er Jahren gab es nicht viele anerkannte schwarze Fotografen. Das war eine Seltenheit. Deshalb sind seine Fotos auch so einzigartig. Ich bin mit dem Kampf gegen Apartheid aufgewachsen. Als ich 17 war, war ich in Berlin und viele Menschen, die sich an diesem Kampf beteiligten, waren im Exil. Der ANC (African National Congress) war im Exil. Verschiedene Befreiungsbewegungen waren im Exil und wir demonstrierten gemeinsam. Ich habe damals mitgeholfen, ein Pamphlet zu schreiben und fotografierte. Die Geschichte von Ernest Cole ist mir also nicht fremd. Im Gegenteil, ich kann mich mit ihr in gewisser Weise identifizieren." Der Film ist so kraftvoll, auch wegen Ihrer kreativen Entscheidung, Ernest seine eigene Geschichte über den Text erzählen zu lassen. Sie bringen den Zuschauern seine Gedankenwelt mit Hilfe seiner Fotos und seiner Worte nahe, die Sie mit eigenen Texten verflechten. Peck: "Ich wollte diese Geschichte nicht durch 'Talking Heads' erzählen, das wäre zu biographisch gewesen. Und ich erzähle keine Biografien, sondern Geschichten. Ich möchte, dass man sich den Film mehrmals anschauen kann, sich auf die Geschichte einlässt und in sie hineingezogen wird. Für so etwas braucht man Charaktere, man braucht Motive, Konflikte, Charakterentwicklung, Erlösung, all das. Da ich auch Drehbuchautor bin, weiß ich, wie man das in der narrativen wie dokumentarischen Form umsetzt. Das wichtigste war, dass Ernest die Geschichte selbst erzählen würde. Es war mir wichtig zu verstehen, warum er, ein bekannter schwarzer Fotograf aus Südafrika, gewissermaßen verschwand. Wenn ich etwas darüber las, dass Ernest depressiv sei, obdachlos wäre oder an Paranoia litt, wurde ich jedes Mal wütend. Diejenigen, die sowas schrieben, sahen ihn nicht als Menschen und hatten keinen Respekt für ihn als Künstler, der etwas durchmachte. Als ich diese Texte las, dachte ich mir nur: Ich weiß, dass man nicht obdachlos wird, weil man faul oder verrückt ist. Mir war es deswegen wichtig, wirklich zu verstehen, wie er an diesen Punkt gelangt ist, und diese Blackbox von einer menschlichen Seite zu beleuchten. In Ernest Coles Haut zu schlüpfen, war nicht allzu schwer, denn ich kenne dieses Gefühl, nicht zu Hause zu sein, nicht dazuzugehören. Es begleitet mich schon mein ganzes Leben. Auch seine Depression kannte ich. Ich wusste, wie es sich anfühlt, keinen Schlafplatz zu haben. Als ich in Berlin war, musste ich mir vom einen auf den anderen Tag ein neues Zimmer suchen. Vorort hatte ich keine Familie. Natürlich hatte ich Freund:innen, auf deren Sofas ich schlafen konnte. Aber das ist nicht dasselbe, als die Menschen um sich zu haben, mit denen man aufgewachsen ist. Ich weiß also, was diese Unsicherheit bedeutet. Ein weiterer wichtiger Aspekt war, dass ich Ernest auf die Meinungen der meist weißen Expert:innen über seine Arbeit reagieren lassen wollte. Weil ich meine Filme auf intensiver Recherche aufbaue, stoße ich immer auf dieses Problem: Ich treffe all die Experten, lese all ihre Werke, ihre Thesen und stelle fest, dass diese Expert:innen zum Großteil weiß sind. Weiße Journalisten, weiße Historiker... Man kommt nicht umhin eine Art Bevormundung festzustellen. Das alles hat etwas Belehrendes. Und das nutze ich in diesem Film."