Kritiken von "chris1972"

Oliver Twist

Drama, TV-Film

Oliver Twist

Drama, TV-Film
Bewertung und Kritik von Filmfan "chris1972" am 20.11.2008
Jetzt werden sicher viele denken "Na toll, noch eine weitere, zigte Verfilmung der abgenudelten Story". Richtig, es gab da schon so einige... Wir erinnern uns:
Hatte doch erst Starregisseur Roman Polanski 2005 seine ultimative Verfilmung des Stoffes mit Ben Kingsley vorgelegt. Leider gibt es aber nicht wirklich, DIE ultimative Verfilmung. Die ach so hochgelobte, uralte David Lean - Verfilmung, die laut Kritikern immer noch als die beste gilt, mutet für heute Sehgewohnheiten seltsam langatmig, künstlich und überzogen theatralisch an
( versteht mich richtig, Alec Guinness war ein toller Schauspieler, aber sein Fagin bleibt seltsam farblos und steif), die Polanski - Verfilmung bietet ausser tollen Bildern und einer wirklich bedrohlichen Spannung leider auch nichts neues, mal abgesehen von dem bis dato wohl hübschesten Oliver Twist - Darsteller Barney Clarke, der allerdings schauspielerisch sehr wenig zu bieten hat. Und Ben Kingsley imitiert mit seinem Spiel nur allzusehr an der Alec Guinness - Rollenverkörperung und fügt dem Charakter daher auch keine neuen Nuancen hinzu.
Auch die kindgerechte und deshalb eher "beschönigte" Disney - Variante miteinem geradez knuddeligen Richard Dreyfuss als Fagin und "Frodo" Elijah Wood als Dodger kann nicht wirklich überzeugen. Elijah Wood gab zwar der Dodger - Rolle neue Nuancen und Charakterzüge und versah diese charismatische Figur mit einem ganz eigenen, liebenswerten Charme, doch streng genommen, war er für diese Rolle damals schon zu alt. Dreyfuss war zudem zu sehr der "liebe Onkel" und gewann Fagin nichts an Verschlagenheit und Niedertracht ab. Es gab unzählige Verfilmungen, darunter auch so prominent besetzte mit George C. Scott, Tim Curry oder Keira Knightley.
Aber rein von der Rollenbesetzung her bleibt das seinerzeit mit sechs Oscars ausgezeichnete 68er ( oder war es 1969?) Musical "Oliver" tatsächlich bis heute unerreicht. Ron Moody als Fagin und Oliver Reed als Bill Sikes setzten darstellerische Messlatten, die keiner ihrer Rolennachfolger jemals auch nur annähernd erreichten und obwohl das Musical aus heutiger Sicht eher verkitscht, zuckersüß und auch stellenweise langatmig wirkt, so bleibt es doch mit Abstand die einprägsamste aller Versionen.
Nachdem Polanski dann mit seinem "Oliver Twist" 2005 so grandios floppte ( sowohl in künstlerischer als auch finanzieller Hinsicht), weil er trotz Stars, Aufwand und toller Fotografie einfach nicht schaffte, den ZUschauer wirklich emotional zu berühren ( zu kühl, zu distanziert inszeniert), sah es so aus, als wäre die Zeit der "Oliver Twist" - Verfilmungen endgültig vorbei.
Doch dann entschloss sich die BBC, die sich bekanntermaßen auf Literaturverfilmungen spezialisiert hat ( unter ihnen entstand auch - ebenfalls nach einer Charles Dickens - Vorlage - "David Copperfield" mit "Harry Potter"-Darsteller Daniel Radcliffe, Maggie Smith ( ebenfalls aus Harry Potter bekannt), "Gandalf" Ian Mc Kellen und "Roger Rabbitt" - Star Bob Hoskins ) mit weniger bekannten Darstellern eine weitere Neuauflage des Stoffes zu inszenieren. Und was Polanski misslang, schaffte diese Verfilmung: den Zuschauer emotional zu berühren.
Der neue britische Kinderstar William Miller ist zwar ebenso wie sein Polanski Rollenkollege Barney Clarke ein für die Rolle fast zu hübsches Kind, allerdings besitzt er etwas, dass ihn von Dutzenden seiner Vorgänger unterscheidet: Er kann nämlich schauspielern und das sogar auf eine sehr natürliche und daher glaubwürdige Weise. Er ist nicht so edel wie Mark Lester und auch nicht so verletzlich wie Barney Clarke, er ist trotziger, wehrt sich und schafft es der sehr eindimensionalen Oliverrolle neue Facetten abzugewinnen. Ähnlich wie Timothy Spall ( Peter Pettigrew alias "Wurmschwanz" in Harry Potter) als Fagin, der zunächst aufgrund seines Äußeren eher gewöhnungsbedürftig ist, aber im Laufe des Filmes zeigt, dass er es durchaus versteht, die allzu bekannte Figur tatsächlich noch neu zu definieren. Überhaupt ist der Film bis in die Nebenrollen hervorragend besetzt und inszeniert, er bietet mehr Nebenhandlung und macht einiges nachvollziehbarer. Man merkt, dass er mit viel Liebe zum Detail erstellt wurde. Mit Abstand eine der besten Verfilmungen, was vielleicht auch daran liegen mag, dass der Film - das mag sich jetzt blöd anhören - eine sehr weibliche Handschrift hat. Regisseur,Drehbuchautor und Produzent sind Frauen, und zwar - wie man im Making of - spürt mit viel Liebe zum Stoff. Sie schaffen es tatsächlich neue Ansätze zu entdecken und im Film die Gratwanderung zwischen klassischem Stoff und modernen sehgewohnheiten zu meistern.
Mit dieser Verfilmung hat BBC die mit Abstand realischstste, glaubwürdigste und authentischste Version geschaffen, die ohne Zweifel zu den allerbesten Verfilmungen gehört.
Ich kann diese DVD ( erst vor kurzer Zeit in Deutsch erschienen) vorbehaltlos empfehlen, erinnert der Film in seiner Machart doch sehr an die großen Kinderserienklassiker der 80er, wie "Jack Holborn" oder "Silas". Natürlich hat jeder "Oliver Twist" - Fan seinen persönlichen Favoriten, doch diese Verfilmung ist sicherlich einer der stimmungsvollsten, gelungensten und vor allem am besten gespielten. Ein echtes Highlight!

ungeprüfte Kritik